Mission in Budapest 1944

Raoul Wallenberg – Mission in Budapest

Soviele Menschen retten wie möglich!

Von Christoph Gann

Raoul Wallenberg wurde am 4. August 1912, nach dem Tod seines Vaters, bei Stockholm geboren. Die Wallenberg-Familie ist eine der bedeutendsten schwedischen Familien. Raouls Urgroßvater war Bankengründer, dessen Sohn Knut Agathon war von 1914 bis 1917 schwedischer Außenminister. Über Raouls Ausbildung wachte sein Großvater Gustaf Wallenberg, ein Diplomat. Er sorgte dafür, dass Raoul Wallenberg nach Absolvieren seiner Militärzeit 1931 in Ann Arbor/Michigan in den USA studierte. Die Wahl des Studienfachs überließ er seinem Enkel, der sich für Architektur entschied. Raoul Wallenberg schloss das Studium im Frühjahr 1935 ab. Nach Aufenthalten in Schweden und Südafrika reiste er 1936 für einige Monate nach Palästina. Sein Großvater hatte ihm eine Ausbildungsmöglichkeit bei einer Bank in Haifa besorgt. Er traf auf Flüchtlinge aus NS-Deutschland. An seinem Großvater schrieb er, dass die Leute aber nicht viel über die Vergangenheit sprechen würden, sondern nahezu ausschließlich über die Zukunft Palästinas. Er gestand ihm zudem, dass er sich nicht geeignet für das Bankwesen fühle. Der Direktor einer Bank sollte richterähnlich sein, ruhig, kalt und zynisch. Raoul Wallenberg wollte aber lieber eine positive Art von Arbeit und nicht nur herumsitzen, und „Nein“ zu den Leuten sagen. Einmal schrieb er auch, dass sein Vater auf Fotos so fein und selbstaufopfernd aussehe und er sich wie ein schlechter Ersatz fühle.

Nach seiner Rückkehr nach Schweden und verschiedenen geschäftlichen Aktivitäten, wurde Wallenberg 1941 Geschäftspartner von Kálmán Lauer, eines aus Ungarn stammenden Juden. Als Ungarn im März 1944 von deutschen Truppen besetzt wurde und zunächst die Juden auf dem Land in Ghettos gesperrt und ab Mai 1944 deportiert wurden, versuchte Wallenberg, nach Budapest zu reisen, um Lauers Angehörigen zu helfen.

In jener Zeit bemühte sich das US-War Refugee Board, neutrale Staaten zur Hilfe von Juden in Ungarn zu bewegen. Schweden erklärte sich bereit, aus dem 31jährigen Geschäftsmann wurde kurzerhand der Diplomat Raoul Wallenberg. Dieser wurde der Schwedischen Gesandtschaft in Budapest als Legationssekretär zugeteilt. Er sollte sich bis zum 6. September 1944 für etwa 650 Juden einsetzen, die entweder persönliche oder geschäftliche Beziehungen nach Schweden besassen. Am 9. Juli 1944 traf Wallenberg in Budapest ein. Zu diesem Zeitpunkt waren schon über 437.000 ungarische Juden deportiert worden. Wallenberg informierte sich, was es bereits für Rettungsanstrengungen gegeben hatte und suchte unter anderen den Schweizer Vizekonsul Carl Lutz auf, der die britischen Interessen vertrat und damit für die Palästinaeinwanderung zuständig war. Wallenberg merkte schnell, dass sich seine Hilfe auf eine längere Zeit und auf eine größere Anzahl von Verfolgten erstrecken musste.

Herzstück der Rettungstätigkeit wurde der Schwedische Schutzpass, den Wallenberg selbst eindrucksvoll gestaltete. Dieser war mit einem Foto und Stempeln versehen und wurde vom Gesandten Danielsson unterzeichnet. Er enthielt in deutscher und ungarischer Sprache die Aufschrift, dass der Inhaber bis zu seiner Ausreise nach Schweden unter dem Schutz der Gesandtschaft stünde. Es konnte die Anerkennung von 4500 Schutzpässen erreicht werden. Der Schweizer Vizekonsul Lutz sah durch die hohe Zahl die Wirksamkeit der von ihm – nicht an ungarische Staatsangehörige – vergebenen Schutzpässe in Gefahr. Erst später sah er ein, dass die Ausgabe Tausender Schutzdokumente an ungarische Juden von großer Wichtigkeit war, und folgte Wallenbergs Beispiel.

Kritik erregte Wallenberg in „ungarischen Kreisen“, da er sich „auffällig in Gesellschaft seiner Schutzjuden öffentlich zeigt“. Wallenberg stellte mit seiner Abteilung auch die Versorgung seiner Schützlinge sicher, die in 32 Schutzhäusern Unterkunft fanden. Im November 1944 rettete er mit Mitstreitern Hunderte aus den sogenannten Todesmärschen. Adolf Eichmann drohte, den „Judenhund Wallenberg“ erschießen zu lassen. Nach Protest hieß es, Wallenberg arbeite in durchaus unüblicher Weise und mit absolut illegalen Mitteln. Die Berufung auf Wallenberg gegenüber General Gerhard Schmidhuber soll die Zerstörung des Großen Ghettos mit etwa 70.000 Insassen verhindert haben. Etwa 119.000 Juden überlebten die deutsche Besetzung in Budapest, zigtausende davon durch Wallenberg. Wallenberg suchte selbst den Kontakt zur Roten Armee, um ein neues Hilfsprojekt, u. a. zur Wiederherstellung der Existenzgrundlage für Juden, vorzustellen. Schweden hatte Moskau zuvor um Beistand für das Gesandtschaftspersonal nach Einmarsch der Roten Armee gebeten. Dies war naheliegend, da Schweden offiziell die sowjetischen Interessen in Ungarn vertrat. Am 16. Januar 1945 meldeten die Sowjets die Inschutzstellung Wallenbergs. Seine Mutter wurde wenig später von der sowjetischen Botschafterin informiert, dass ihr Sohn in Russland in Sicherheit sei. Dann folgte ein unglaubliches Verwirrspiel, geprägt von sowjetischen Desinformationen und Unwahrheiten. Allerdings verhielt sich auch Schweden seltsam. So regte der schwedische Botschafter in Moskau, Staffan Söderblom, Ende 1945 eine sowjetische Mitteilung an, dass Wallenberg tot sei. Dies wäre besser für Wallenbergs Mutter, die ihre Kraft für eine fruchtlose Suche verschwende. Und das schwedische Außenministerium gab im März 1946 einem Anfragenden die Auskunft, Wallenberg sei seit dem 17. Januar 1945 verschwunden und wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

Negativen Höhepunkt bildete die Audienz des schwedischen Botschafters bei Stalin am 15. Juni 1946. Söderblom äußerte seine Überzeugung, Wallenberg sei einem Unglück oder Räubern zum Opfer gefallen. Das Gespräch, für das Stalin eine Stunde reserviert hatte, dauerte nur fünf Minuten. Im Vorfeld hatten die Sowjets offenbar Signale für einen Austausch Wallenbergs gesetzt, u.a. gegen eine minderjährige Sowjetbürgerin, die sich in Schweden aufhielt. Die Schweiz hatte zwei aus Budapest verschleppte Diplomaten im Januar 1946 durch solch einen Handel freibekommen. Sie waren wie Wallenberg auf Verhaftungsbefehl des Vizeverteidigungsministers Nikolaj Bulganin vom 17. Januar 1945 nach Moskau verbracht worden. Aus Dokumenten und Zeugenaussagen geht hervor, dass Wallenberg zunächst in das dortige Lubjanka Gefängnis kam, Ende Mai 1945 dann in das Gefängnis Lefortowo. Sein erst fünftes Verhör fand im März 1947 wieder in der Lubjanka statt. Bis Februar 1957 leugnete Moskau die Gefangennahme. Dann behauptete man, Wallenberg sei vermutlich am 17. Juli 1947 in der Lubjanka an einem Herzinfarkt gestorben. Im Jahr 1964 wurde verlautbart, am Todesdatum bestünden keine Zweifel. Daran hielt man auch nach Glasnost und der Übergabe angeblich zufällig gefundener Gegenstände Wallenbergs im Jahr 1989 fest. Das Todesdatum findet sich auch in der Rehabilitierungsurkunde von Ende 2000.

Eine schwedisch-russische Kommission fand in den Abschlussberichten von 2001 kein gemeinsames Ergebnis. Umso spektakulärer mutete die Nachricht an, welche die unabhängigen Wallenberg-Forscher Susanne Berger und Vadim Birstein im März 2010 verkündeten. Archivare des russischen Geheimdienstes FSB hatten ihnen im November zuvor mitgeteilt, Wallenberg sei mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahr 1947 zum „Gefangenen Nr. 7“ in der Lubjanka gemacht worden. Dieser wurde dort am 22. und 23. Juli 1947 verhört. Damit rückte die russische Seite erstmals vorsichtig vom angeblichen Todesdatum ab. Die Hoffnung auf eine Wende im Fall Wallenberg erfüllte sich jedoch nicht. Es gab weder eine Bestätigung, noch wurde eine andere Person als jener Gefangener Nr. 7 benannt. Der Direktor des Zentralarchivs des FSB Vasilij Christoforov hielt auf einer aus Anlass des 100. Geburtstages von Wallenberg abgehaltenen Konferenz in Wien im November 2012 daran fest, dass Wallenberg im Juli 1947 verstorben sei. Dies einige Tage vor oder nach dem 17. Juli 1947. Beweise? Keine.

Einen der wohl wichtigsten Hinweise auf ein mögliches Weiterleben Wallenbergs nach 1947 bildet die Aussage der schwedischen Professorin Nanna Svartz. Am Rande eines Mediziner-Kongresses in Moskau im Jahr 1961 soll ihr russischer Kollege Prof. A.L. Mjasnikow gesagt haben, Wallenberg befände sich in einer psychiatrischen Klinik/Strafanstalt („Mentalkrankenhaus“). Zur Beratung der weiteren Vorgehensweise sei noch Prof. Danischewskij hinzugezogen worden. Nachdem Schweden aktiv wurde, stritt Mjasnikow – auf höchste Weisung – alles ab. Schweden erreichte zuletzt 1965 ein Gespräch zwischen Svartz und Mjasnikow, ohne dass es eine Übereinkunft gab. Weshalb Danischewskij nicht einbezogen wurde, ist unklar. Sollte Schweden wiederum nur halbherziges Interesse gehabt haben? So gibt es ein Dokument, wonach der schwedische Botschafter Gunnar Jarring am 26. Mai 1964 im Vorfeld eines Staatsbesuchs gegenüber dem sowjetischen Außenministerium zwar die Ankündigung einer neuen Untersuchung im Fall Wallenberg angeregt habe. Er soll aber auch geäußert haben, diese könne ja dieselben Ergebnisse wie die von 1957 ergeben. Je länger Wallenberg tatsächlich noch gelebt haben könnte, umso unbequemere Fragen stellten sich auch an Schweden.

Eine ehemalige Gefangene des Lubjanka Gefängnisses, Hertha Voigt, gibt an, sie habe nach ihrem Eintreffen im Lubjanka-Gefängnis, und zwar nach Juli 1947, Kontakt zu Raoul Wallenberg gehabt. Eine offizielle Befragung der Zeugin durch Schweden erfolgte bisher jedoch nicht. Rußland ist weiterhin gefordert, endlich die Wahrheit über das Schicksal von Wallenberg zu offenbaren.

Author

Christoph Gann is the author of a very well regarded book concerning Raoul Wallenberg in Hungary and his fate in USSR – Raoul Wallenberg. So viele Menschen retten wie moeglich („To save as many lives as possible“). He has organized exhibitions about Raoul Wallenberg, „Lichter in der Finsternis: Raoul Wallenberg und die Rettung der Budapester Juden 1944/45“ (“Lights in the darkness: Raoul Wallenberg and the rescue of Budapest Jewry 1944/45”), shown in Germany, Hungary and Austria since 1994. Gann is judge at the District Court in Meiningen/Germany and scientific advisor of the German Federal Constitutional Court in Karlsruhe.

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